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FSRK

Studiengebühren sind sozial ungerecht...

... weil sie alle Studierenden davon abhalten sollen, an sozial gerechten Verhältnissen zu arbeiten.

„Auch wenn es Ihnen heute als Studierenden nicht so bewusst sein mag – Sie werden als Akademikerinnen und Akademiker zu einer privilegierten Gruppe gehören mit dem geringsten Arbeitslosigkeitsrisiko und gleichzeitig der höchsten Einkommenschance. Deshalb halte ich es für gerechtfertigt, dass sich diejenigen, die erhebliche individuelle Vorteile aus ihrer Ausbildung ziehen, an den Kosten dieser Ausbildung beteiligen. Das ist aus meiner Sicht auch eine Frage der Solidarität mit anderen Bevölkerungsgruppen in unserem Land, denen eine weitergehende Beteiligung an zusätzlichen Ausgaben für die Hochschulen kaum zugemutet und vermittelt werden kann.“

Jörg Dräger, Aktuelle Informationen zur Studienfinanzierung, 05.12.2005.

Hört, hört: Es gibt verschiedene „Bevölkerungsgruppen“ in unserem Land, darunter privilegierte und weniger privilegierte. Es gibt eine hohe Erwerbslosigkeit und unterschiedlich hohe Einkommenschancen. Das Steueraufkommen und damit die Beteiligung an Ausgaben für staatliche Aufgaben (wozu auch die Hochschulen gehören) wird im wesentlichen von jenen erbracht, die für meist viel zu wenig Lohn arbeiten müssen; ein Mehr an Belastung wäre ihnen (zu Recht!) kaum vermittelbar. Man muß ergänzen: Reichtum auf der einen Seite und deshalb Armut auf der anderen wachsen stetig, die gesellschaftlichen Widersprüche werden weltweit immer mehr zugespitzt. Die privaten Vermögen einiger weniger steigen, während die öffentlichen Haushalte schrumpfen und Kapitalgesellschaften und Großverdiener massive Steuererleichterungen erhalten oder gar keine Steuern zahlen. Die privilegierte gesellschaftliche Gruppe, das sind vor allem jene wenigen Großunternehmer.

Das zu erkennen, hätte nicht der Ausführungen des Senators bedurft – dafür waren sie auch nicht gedacht. Wohl aber braucht es Studiengebühren, um zu behindern, daß daraus kritische Schlußfolgerungen gezogen werden, die dem Kapital unangenehm wären, weshalb beispielsweise der Bundesverband der Deutschen Industrie und die Handelskammer Hamburg sich so vehement für Studiengebühren einsetzen. Richtigerweise ist es nämlich Aufgabe von gesellschaftlich verantwortungsvoller Wissenschaft, solche „Tatsachen“ zu hinterfragen, Ursachen und Verursacher zu benennen, Lösungen der gesellschaftlichen Probleme zu entwickeln und so an der Überwindung dieser Verhältnisse zu arbeiten. Studiengebühren sollen Studierende genau davon abhalten und stattdessen darauf abrichten, gemäß ihrer besten Verwertbarkeit am Markt zu studieren. Darin liegt die soziale Ungerechtigkeit von Studiengebühren, und zwar für alle, ob Anwaltstochter oder Bäckerssohn.

Die „erheblichen individuellen Vorteile“ derer, die eine universitäre „Ausbildung“ durchlaufen haben, sind nur scheinbare, weil sie permanent konkurrenzhaft gegen andere durchzusetzen sind und man allerorts daran gehindert wird, eine menschlich-sinnvolle Tätigkeit auszuüben. Den entscheidenden Vorteil qualifizierter aber marktkonformer Ausbildung haben vor allem die Unternehmer, die so teils staatlich, teils von den Individuen privat finanziert, prima verwertbares „Humankapital“ erhalten.

Zur Durchsetzung von Studiengebühren wird jedoch das Argument mobilisiert, es sei unsolidarisch, „auf Kosten anderer Bevölkerungsgruppen“ zu studieren. Wir kennen es bereits von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) und anderen Akteuren, die die Gleichheit in der Ungleichheit als Lösung der gesellschaftlichen Krise propagieren, d.h. wenn Kindergartenplätze Gebühren kosten, sollen gefälligst auch die Studierenden zahlen. Wenn das Kind eines Kfz-Mechanikers kaum Aussichten hat, ein Studium zu beginnen, solle die soziale Ungleichheit durch Studiengebühren auf ewig festgeschrieben werden. (Schließlich würde der Zusammenhang zwischen Bildungsniveau, Berufsstatus und wirtschaftlicher Lage der Eltern und den Bildungsmöglichkeiten ihrer Kinder durch allgemeine Studiengebühren noch dramatischere Qualität erlangen.) In dieser Logik werden unterschiedliche Gruppen früher oder später lohnabhängig Beschäftigter mit dem Hinweis auf vermeintliche Privilegien gegeneinander ausgespielt, um die eigentliche Absicht – Sozialstaatsabbau in allen Bereichen zugunsten wachsender Profite – zu verschleiern.

Es geht also um die Durchsetzung von Interessen: entweder die Profitinteressen des Kapitals oder das Interesse der Mehrheit der Menschen, eine soziale und demokratische Gesellschaftsentwicklung zu realisieren. Letzteres ist in der Auseinandersetzung um ein gebührenfreies Studium notwendig zur Geltung zu bringen. Bildung für alle ist ein dringendes gesellschaftliches Erfordernis und ist somit vorerst staatlich, d.h. durch Steuereinnahmen, zu gewährleisten. – Es gibt eine Bevölkerungsgruppe, der sehr wohl eine „weitergehende Beteiligung an zusätzlichen Ausgaben“ auch für die Hochschulen zugemutet werden kann!

http://www.fsrk.de/artikel_88.html [Stand 12. Februar 2006]


Studiengebühren sind sozial ungerecht...